Dies ist Teil 4 von 62 im Buch Sheltered Dreams
Lesedauer: 4 Minuten

3 Erwischt Teil 2

Carter blieb erschöpft am Parkeingang hinter einem Baum stehen. Das Haus gegenüber hielt er im Blick, während er nach Luft schnappte und überlegte, wo er für ein paar Stunden zur Ruhe kommen könnte. In Obdachlosenunterkünften zu übernachten, kam für ihn nicht mehr infrage. Er hatte anfangs in einigen dieser Heime Schutz gesucht und festgestellt, dass eins grauenvoller als das andere war. Es schüttelte ihn immer noch, wenn er an die stickige, nach Exkrementen und Schweiß stinkende Luft dachte. Dazu kam eine gewalttätig aufgeladene Atmosphäre. Ständig wurde geschrien, gepöbelt und oft auch zugeschlagen. Eine kleine Meinungsverschiedenheit konnte von einer Sekunde auf die nächste in einer brutalen Auseinandersetzung enden. Diese ständige Angespanntheit hatte an seinen Nerven gezerrt. In einer Nacht hatte Carter versucht, einen Streit zu schlichten. Im Ergebnis seiner Bemühungen verbündeten sich die beiden Streithähne gegen ihn. Sie schlugen und traten ihn fast bewusstlos, bevor Sicherheitsleute erschienen waren, um dem Gewaltexzess ein Ende zu setzen. Eine gebrochene Nase, gebrochene Rippen und Hämatome am ganzen Körper hatten Carter lange an diese Nacht erinnert. Nie wieder wollte er einen Fuß in eine dieser Unterkünfte setzen. Bis für ihn alles den Bach runtergegangen war und man ihn in eine Hölle geschickt hatte, in der er seit achtzehn Monaten aushalten musste, hatte er ein gutes Leben gehabt. Jeder Versuch, wieder auf die Beine zu kommen, scheiterte bisher. Manchmal war er versucht, sich Alkohol zuzuwenden. Die Vorstellung, für eine Zeit alles zu vergessen, sich um nichts sorgen zu müssen, war besonders an Tagen wie diesem verlockend. Aber dann dachte er an die von Exzessen gezeichneten Menschen, die ihm tagtäglich begegneten und die mehr vegetierten als lebten. So wollte er nicht enden. Aufgeben war keine Option. Alkohol durfte nicht zu seinem Trostspender, zu einer Flucht aus dem deprimierenden Straßenalltag werden. Die Realität durch Rauschmittel zu verdrängen, konnte nicht die Lösung sein, auch wenn es ihm immer öfter schwerfiel, stark zu bleiben. Er würde kämpfen und irgendwann wieder einen Job finden. Große Ansprüche ans Leben hatte er nicht mehr. Arbeit, die für das Dach über dem Kopf und Essen auf dem Teller sorgte, würde ihm vollends genügen. Er wollte nicht mehr obdachlos sein. Das war ein lausiger Vollzeit-Job, der kein Geld, sondern ausschließlich Frustration einbrachte.
Von seinem Standort aus schielte er weiterhin auf die Straße. Die beiden Frauen traten aus dem Haus und manövrierten die Abfalltonnen auf den Bürgersteig, dann blickte sich die Blonde mehrmals um. Sie zog einen Stift aus der Hosentasche, schrieb damit etwas auf eine braune Papiertüte, die sie anschließend neben dem Tor abstellte. Die Polizei tauchte nicht auf. Trotzdem wartete Carter eine gefühlte Ewigkeit, bevor er seinen Posten verließ. Sämtliche Lichter in den umliegenden Häusern waren mittlerweile erloschen, auch Hundebesitzer ließen sich nicht mehr blicken. Vor lauter Hunger hatte Carter ein flaues Gefühl im Magen. Seine Hände zitterten. Sobald er vor dem Haus ankam, hob er die Tüte auf und las die Nachricht: Nehmen Sie das Essen mit und kümmern Sie sich um die Wunde. Bitte kommen Sie wieder her, wenn Sie einen Arzt brauchen.
Einen Moment starrte er die Worte an. Aus einem angrenzenden Beet nahm er weiße Kieselsteine, mit denen er das Wort Danke vor die Mauer neben dem Tor legte. Anschließend verschwand er mit schnellen Schritten im Park. Auf der Suche nach einem abgeschiedenen Platz zum Essen stolperte er und stürzte eine Böschung hinunter. Carter fand sich in einer Kuhle mit dicht gewachsenen Sträuchern wieder. Er krabbelte in das Dickicht, wo er sich überraschend sicher fühlte. Daher beschloss Carter, für den Rest der Nacht dortzubleiben. In seinem Unterschlupf sah er sich den Inhalt der Papiertüte an. Die schwache Beleuchtung reichte, um zu erkennen, was er in der Hand hielt. Neben einem Truthahnsandwich gab es Wiener Würstchen, Apfelmus, Kekse und Müsliriegel. Sogar an zwei Flaschen Wasser und Einmalbesteck hatte sie gedacht. Zuerst kümmerte er sich um die Wunde. Ohne Spiegel war es gar nicht so einfach, den Schnitt zu versorgen, aber mit etwas Geduld gelang es ihm. Während er aß, überlegte Carter, dass er morgen unbedingt zur Kleiderausgabe musste. Nachdem er sämtliche Besitztümer auf der Flucht zurückgelassen hatte, besaß er nur das, was er am Leib trug.
Glücklicherweise war es heute warm und trocken. Er würde auch ohne Schlafsack nicht frieren müssen. Nach der Mahlzeit rollte er sich auf der Erde zusammen.

 

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Kapitel 3 – Erwischt

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