Dies ist Teil 20 von 62 im Buch Sheltered Dreams
Lesedauer: 4 Minuten

11 Die Chance – Teil 2

Nachdem Carter am Samstagnachmittag die erneuerten Bohlen der Terrasse mit Holzschutzfarbe bestrichen hatte, waren seine Aufgaben erledigt. Er ging duschen und setzte sich ein letztes Mal auf den Steg, der mittlerweile zu seinem Lieblingsplatz geworden war. Bald musste er wieder in die harte Realität seines Lebens zurück. Ob es in Joannas Firma Arbeit für jemanden wie ihn gab? Da er nichts zu verlieren hatte, nahm er sich vor, sie darauf anzusprechen.
Er ließ den Kopf in den Nacken sinken. Mit geschlossenen Augen atmete er in die Stille hinein, genoss die Sonnenstrahlen auf der Haut. Irgendwann wurde es Zeit, sich auf die Abreise vorzubereiten. Mit einem wehmütigen Seufzer erhob er sich. Erstaunlich, wie schnell er wieder in einen normalen Tagesrhythmus gefunden und sich an den Schlaf in einem Bett gewöhnt hatte, während er auch nach fast zwei Jahren immer noch mit seinem Leben auf der Straße haderte. Der Weg zurück ins Gewohnte war definitiv leichter als umgekehrt.
Carter packte seine Sachen zusammen, als das Geräusch von Reifen auf Schotter zu hören war. Eine Autotür fiel ins Schloss, dann entfernte sich der Wagen wieder. Kurz darauf vernahm Carter das Klackern von Absätzen auf dem Holzboden.
»Hallo, jemand da?«, rief Joanna.
»Schlafzimmer.«
Das Klackern kam näher, zusammen mit dem dezenten Duft einer frischen Sommerbrise. Carter stockte der Atem. Statt Joanna zu begrüßen, blickte er sie sprachlos an. Hatte sie schon immer so verdammt bezaubernd ausgesehen? Er streckte die Hand aus, hielt sich am Bettpfosten fest, weil er kurz befürchtete, seine Beine würden unter ihm nachgeben.
Joanna bemerkte nicht, dass ihn ihre Erscheinung komplett umgehauen hatte.
»Ich bin gleich vom Flughafen hergekommen. Nach der Hektik der letzten Tage habe ich mich dermaßen auf die Ruhe hier gefreut, dass ich mir nicht mal die Zeit zum Umziehen genommen habe.« Sie lächelte ihn an, kickte ihre Schuhe von den Füßen und öffnete die Haarspange. Sie schüttelte den Kopf, fuhr sich mit beiden Händen durch die Locken. Dann drehte sie Carter den Rücken zu. »Kannst du mir mit dem Reißverschluss helfen? Ich will dringend raus aus dem Kleid, aber das Teil ist nicht dafür gemacht, es alleine auszuziehen. Das endet immer mit einer Muskelzerrung im Arm, wenn ich es selbst probiere.«
Der Himmel stehe ihm bei. Er machte einen Schritt auf Joanna zu. Seine Finger zitterten so stark, dass es ihm erst nach drei Versuchen gelang, den Reißverschluss zu öffnen.
»Danke. Ich gehe duschen und danach möchte ich unbedingt sehen, was du alles geschafft hast. Mittlerweile platze ich vor Neugier. Könntest du uns in der Zwischenzeit etwas zu essen bestellen? Griechisch wäre toll, aber wenn du was anderes möchtest, ist mir das auch recht.«
Carter blieb zurück, mit wild klopfendem Herzen, umgeben von ihrem Duft und komplett durcheinander. Er legte die Stirn an die Wand, schloss die Augen, atmete tief durch. Gerade als er dachte, er hätte sich wieder unter Kontrolle, kreischte Joanna.
Carter rannte los und riss die Badezimmertür auf. »Was ist passiert?«
Dass er vor der Erstürmung hätte nachdenken sollen, kam ihm erst in den Sinn, als er erfasste, dass Joanna in weißer Spitzenunterwäsche vor ihm stand. Obwohl er ihren Körper nur für den Bruchteil einer Sekunde gesehen hatte, bevor er sich umdrehte, war ihm klar, dass sich dieser erotische Anblick für immer in seinem Gedächtnis festbrennen würde.
»Verdammt«, entfuhr es ihm. »Entschuldige, aber du hast so laut geschrien, dass ich ohne zu überlegen losgerannt bin. Hast du dich verletzt?«
Ihr helles Lachen verwirrte ihn.
»Du kannst dich wieder umdrehen.« Joanna hatte sich einen kurzen Bademantel übergezogen, der Carters Meinung nach immer noch viel zu wenig von ihrem Körper verhüllte. Er räusperte sich und versuchte, nicht zu starren.
»Das ist eine tolle Überraschung.« Sie zeigte auf die antike Badewanne mit den Löwenfüßen, die er neu beschichtet hatte.
Er zuckte nur mit den Schultern. »Ich hatte Zeit und du hast zu Recht gesagt, dass die gelben Ränder ekelig sind. Die alte Emailleschicht war nicht mehr zu retten. Schön, dass es dir gefällt, obwohl wir es nicht abgesprochen haben.«
»Die Wanne glänzt wie neu. Danke.« Carter schmolz dahin, als sie die Lippen sanft auf seine Wange drückte. Diese zärtliche Geste sorgte dafür, dass er Joanna an sich ziehen, sie unbedingt festhalten wollte. Mit seinen aufkeimenden Gefühlen konnte er nicht umgehen. Um Ablenkung kämpfend trat er die Flucht an.
»Ich kümmere mich ums Essen«, sagte er, zog die Tür geräuschvoll hinter sich ins Schloss, dann griff er zum Smartphone. Sein Innerstes war dermaßen unaufgeräumt, dass er sich nicht auf die Essensbestellung konzentrieren konnte. Die Wörter auf dem Display tanzten vor seinen Augen. Es durfte nicht passieren, dass er sich in Joanna verliebte. Bald würde er wieder auf der Straße leben, konnte ihr absolut nichts bieten. Ihm fiel kein einziger Grund ein, warum sie sich für ihn interessieren sollte. Joanna war der erste Mensch, der ihn außerhalb der Mission freundlich behandelt hatte. Dieser Umstand hatte offenbar einige seiner Gehirnströme fehlgeleitet und für einen Kurzschluss gesorgt. Trotzdem … nein, hör auf. »Reiß dich zusammen«, murmelte er. »Reiß dich einfach zusammen. Du machst dich vollkommen lächerlich.«

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