11 Die Chance – Teil 3
»Ich habe nicht erwartet, dass du in der kurzen Zeit die komplette To-do-Liste abhakst. Du hast mit äußerster Sorgfalt gearbeitet, so etwas sehe ich selten. Großartig«, sagte Joanna beeindruckt.
Dass sie mit der Qualität seiner Arbeit zufrieden war, hatte er gehofft. Ihr Lob bedeutete ihm eine Menge. »Ich habe dir eine Auflistung aller Materialien und Kosten zusammengestellt.«
Joanna überflog die Tabelle, die Carter auf dem Laptop geöffnet hatte. »Stimmt die Summe?«
»Sicher.«
»Du hast für das Material nicht mehr ausgegeben?«
»Nein, ist das ein Problem?«, fragte er mit einem jungenhaften Grinsen.
»Wie hast du bei den kleinen Einkaufsmengen diese Preise aushandeln können?«
»Das war schon immer meine Stärke. In unserer Firma mussten wir um jeden Cent kämpfen, damit wir wettbewerbsfähig bleiben konnten. Offenbar habe ich das Verhandeln nicht verlernt.«
Joanna nickte anerkennend. »Das bestärkt mich in meiner Entscheidung.«
»Welche Entscheidung?«
»Du weißt, dass ich vor Kurzem das Projekt Bezahlbarer Wohnraum in San Francisco gestartet habe?«
»Ja, davon hast du erzählt.«
»Leider hatte ich kein glückliches Händchen mit dem Projektleiter. David hat letzte Woche nach drei Monaten das Handtuch geschmissen.«
»Hast du Ersatz finden können?«
»Ich hoffe es. Lies das.« Sie hielt ihm Papiere hin.
Ungläubig sah er sich die Dokumente an, überflog den Text. Blätterte die Papiere erneut durch, dann blickte er zu Joanna. »Ist das dein Ernst?«
Sie nickte. »Ich biete dir die Projektleitung an. Und bevor du wieder auf deiner Almosen-Schiene herumreitest: Ich mache dir das Angebot nicht, weil du mir leidtust, sondern weil mich deine Arbeit überzeugt hat. Das Gehalt beinhaltet keinen Obdachlosen-Bonus, sondern ist das, was ich all meinen Leuten in dieser Position bezahle. Ein Firmenwagen ist immer inklusive, genau wie ein Firmenhandy, Laptop und eine Krankenversicherung. Da ich das Gästehaus nicht brauche, ist es nur eine logische Konsequenz, dass ich es dir zur Miete überlasse, bis du etwas findest, was dir besser gefällt.«
Nach einer atemlosen Pause brachen sämtliche Emotionen aus Carter heraus. Der Schmerz der letzten Monate und die Erleichterung darüber, dass sein Leben auf der Straße vorbei war, bahnten sich gleichzeitig einen Weg aus seinem tiefsten Inneren an die Oberfläche. Er hob die Hand an den Mund. Die Papiere warf er auf den Tisch, drehte sich um und lief ins Bad. Die Tür knallte er hinter sich zu. Er rutschte am Türblatt nach unten, barg das Gesicht in den Händen und ließ den Tränen freien Lauf.
Joanna war über seine Reaktion dermaßen verunsichert, dass sie reglos mitten im Raum stehen blieb. Hatte sie etwas falsch gemacht? Langsam ging sie zur Badezimmertür und klopfte leise an. »Ist alles in Ordnung?« Sie hörte ein verhaltenes Schniefen, aber es kam keine Antwort. »Carter?«
»Gib mir bitte einen Moment.« Im Bad wurde das Wasser angestellt, kurze Zeit später öffnete Carter mit einem verlegenen Lächeln die Tür. »Dein Angebot hat mich komplett überwältigt. Ich kann es immer noch nicht richtig glauben.«
»Wir gewinnen beide. Du möchtest arbeiten und die Firma braucht jemanden wie dich. Du weißt, auf was es ankommt, bist gut organisiert und packst ungefragt da an, wo es nötig ist. Außerdem behältst du Kosten im Blick. Du bringst alles mit, was ich von einem Mitarbeiter in dieser Position erwarte. Mit deinem Einsatz hier hast du mich endgültig überzeugt. Wie sieht es aus, kann ich auf dich zählen?«
»Was für eine Frage. Natürlich.« Carter wischte sich mit dem Ärmel durchs Gesicht, da seine Tränen nicht versiegen wollten. »Du hast mein Wort darauf, dass du dich auf mich und meine Arbeit verlassen kannst. Das werde ich dir niemals vergessen. Du bist der erste Mensch, der seit dem Skandal an mich glaubt«, sagte Carter leise, während er erneut Feuchtigkeit von den Wangen wischte.
Joanna konnte nicht anders, sie trat zu ihm, legte die Arme um seine Taille. Für einen Moment versteifte er sich, dann nahm er ihren Trost an. Er erwiderte die warme Umarmung, zog Joanna fest an sich. Wie sehr er Berührungen, die Nähe eines anderen Menschen, vermisst hatte. Eine Stimme in seinem Kopf wurde lauter. Joanna war jetzt seine Arbeitgeberin und diese Art von Intimität zwischen ihnen war falsch, gleichgültig, wie richtig es sich für ihn anfühlte. Daher beendete er schweren Herzens die Umarmung, schob Joanna behutsam von sich. Dann lächelte er. »Ich schätze, ich muss mir neue Kleidung besorgen. Wann fange ich an?«
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Kapitel 11 – Die Chance