Dies ist Teil 22 von 62 im Buch Sheltered Dreams
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12 Ein neues Leben beginnt – Teil 1

Carter zupfte an seinem Hemd, während er am Empfang darauf wartete, von der Personalleiterin abgeholt zu werden. Joanna hatte ihn gut auf seinen ersten Tag vorbereitet, daher müsste er nicht nervös sein, aber seine Hände schwitzten. Auf eine Chance wie diese hatte er so lange gewartet. Ihm war es wichtig, den bestmöglichen Eindruck zu machen. Rasch wischte er die rechte Hand an der Hose ab, als eine Frau im perfekt sitzenden Business-Kostüm lächelnd auf ihn zukam. »Du musst Carter sein. Herzlich willkommen. Mein Name ist Danielle und ich bin für die Mitarbeiter unserer Niederlassungen an der Westküste verantwortlich.«
Er lächelte zurück. Nach einem Händeschütteln folgte er ihr in den Aufzug, der sie in den 20. Stock brachte. Zunächst bekam er eine Einführungsschulung, die jeder neue Mitarbeiter erhielt, gefolgt von einem Orientierungsrundgang durch die Räumlichkeiten. Er lernte einige Kollegen kennen, bevor Danielle ihn in ein modern eingerichtetes Eckbüro führte, an dessen Tür sein Name stand. Eine Frau, die gegenüber des Büros an einem Schreibtisch gesessen hatte, kam lächelnd zu ihnen.
»Carter, das ist Alana Hynes, deine Assistentin. Alana, Carter Doyle. Ich lasse euch allein, damit ihr euch beschnuppern könnt.«

***

Am Ende seines ersten Arbeitstages schwirrte Carter vor lauter neuen Eindrücken der Kopf. Mittlerweile war es um ihn herum leise geworden. Keine Gespräche, kein Klingeln von Telefonen und kein Geschirrgeklapper aus der Kaffeeküche. Er schien der Letzte auf der Büroetage zu sein. Carter warf einen Blick auf seine Kalendereinträge für die Woche, als ihn eine Stimme aufblicken ließ.
»Hi, wie war dein erster Tag?« Joanna lächelte ihn an.
»Spannend, aufregend, überwältigend. Das Team ist wunderbar. Alle sind unglaublich hilfsbereit. Ich hatte gar nicht das Gefühl, der Neue zu sein.«
»Das höre ich gerne. Auf ein gutes Miteinander lege ich großen Wert. Die Arbeit ist strapaziös genug, da muss es untereinander laufen. Passt das mit Alana und dir? Normalerweise suchen sich die Projektleiter ihre Assistenz selber aus.«
»Sie ist ein absolutes Goldstück. Das ganze Team ist fantastisch, was mir den Einstieg um vieles leichter macht.«
»Freut mich, dass du das sagst. Fahren wir nach Hause oder bleibst du noch?«
»Nach Hause. Mein Kopf ist voll und mein Magen leer.«
»Da lässt sich was gegen tun. Ich wette, Rosa hat etwas Leckeres für uns gezaubert.«
Wenig später saßen sie zusammen mit Rosa und Carlos in der gemütlichen Küche. Wann immer es Joannas Termine zuließen, aß sie mit ihnen. Carter mochte diese gemeinsame Zeit, genoss die entspannten Gespräche, das Gelächter. Aber da er jetzt für Joanna arbeitete, machte sich wieder dieses Gefühl in ihm breit, dass er sich aus der Runde zurückziehen sollte. Er gehörte nicht dazu.
Später saß er am Rand des Pools und ließ die Beine im Wasser baumeln. Das Rascheln von Gras veranlasste Carter, den Blick zu heben. Aus der Dunkelheit tauchte Joanna auf, barfuß in Jeansshorts und Tanktop. Wie immer, wenn Carter sie unerwartet sah, setzte sein Herz einen Schlag aus, nur um dann schneller zu klopfen.
»Darf ich mich zu dir setzen?«
»Das ist dein Grundstück. Du darfst tun, was immer du möchtest.«
Mit einem Seitenblick setzte sich Joanna neben ihn, steckte ihre Füße ebenfalls in das angenehm warme Wasser. »Was ist los?«
»Was soll los sein?«
»Das frage ich dich. Beim Essen warst du selbst für deine Verhältnisse ungewöhnlich schweigsam und nun beißt du schon wieder um dich.«
»Mache ich doch gar nicht.«
Joanna blickte ihn nur abwartend an. Sie kannte ihn mittlerweile gut und war in der Lage, seine Stimmung genau einzuschätzen. Schließlich seufzte Carter, er konnte ihr einfach nichts vormachen. »Ab morgen werde ich nicht mehr mit euch essen.«
»Warum? Ich dachte, dir gefallen unsere Abende.«
»Das tun sie auch, aber jetzt arbeite ich für dich …«
»Rosa und Carlos arbeiten ebenfalls für mich, trotzdem essen wir zusammen. Bei mir gibt es keine Hierarchien, also mach dich locker.«
»Dann lass mich wenigstens für das Essen zahlen.«
»Du musst immer das letzte Wort haben, oder?«
»Ich möchte nichts geschenkt bekommen. Es ist mir wichtig, etwas beizutragen.«
»Weißt du, was mir wichtig ist?«
»Nein, was denn?«
»Dass du endlich mal entspannst. In deinem Kopf passiert viel zu viel. Sei nicht immer so schrecklich korrekt und perfekt.« Mit einem frechen Grinsen gab sie ihm einen Schubs, sodass Carter im Pool landete.
»Jetzt kannst du was erleben«, warnte er sie mit zusammengekniffenen Augen, bevor er zu einem Hechtsprung ansetzte. Joanna kreischte, als er sie an den Beinen fasste und schwungvoll ins Wasser zog. Prustend kam sie an die Oberfläche.
»Bin ich jetzt entspannt genug?«
Statt einer Antwort legte Joanna die Hände auf Carters Schultern und versuchte, ihn unter Wasser zu drücken. Er konterte geschickt, hob sie hoch und warf sie erneut ins Wasser. Joanna tauchte auf, holte mit den Armen aus, um Carter nass zu spritzen, aber er erkannte ihre Absicht und griff blitzartig nach ihren Handgelenken. Dabei schob er Joanna gegen den Rand des Pools.
»Schachmatt«, sagte er mit einem breiten Siegerlächeln.
»Noch nicht«, hielt Joanna dagegen. Im nächsten Moment schlang sie die Beine um Carters Hüften. Das ausgelassene Spiel endete in der Sekunde, in der sich ihre Blicke trafen. Beide atmeten schwer, waren nicht in der Lage wegzusehen. Alle Gedanken verschwanden aus Carters Kopf. Bis auf einen. Er wollte Joanna küssen. Der Drang, ihr noch näher zu sein, sie zu schmecken, überwältigte ihn. In seinen dunklen Augen lag ein hungriger Ausdruck. Eine Welle der Erregung rollte durch Carter. Er vergaß sämtliche Gründe, warum er an dieser Stelle aufhören sollte. Seine Hände landeten auf Joannas Hüften.
Carters Körper an ihrem fühlte sich wundervoll an, Joanna unterdrückte ein Stöhnen. Sie zog ihn mit den Beinen näher zu sich, ermutigte ihn, mehr zu wagen. Dieser Moment war so spontan, so aufregend, so vollkommen. Carter gab seine Gegenwehr endgültig auf, beugte sich langsam zu ihr.
Atemlos wartete Joanna darauf, dass er sie küssen würde. War es möglich, dass einem das Herz vor lauter Aufregung aus der Brust springen konnte?
Sirenengeheul schallte durch die Luft, als mehrere Einsatzwagen der Polizei und Feuerwehr am Grundstück vorbeirauschten. Das sorgte bei Carter dafür, aus dem Nebel aufzutauchen. Was zur Hölle tat er hier? War er von allen guten Geistern verlassen? Obwohl sich jede Faser seines Körpers nach Joanna sehnte, war das unbestreitbar eine schlechte Idee. Sich mit seiner Chefin einzulassen, hatte immenses Potenzial für ein weiteres Desaster in seinem Leben. Und wenn er eins nicht brauchen konnte, war es ein erneutes Armageddon. Er durfte nicht zulassen, dass es zwischen ihnen kompliziert wurde, wobei er diese Grenze vermutlich soeben überschritten hatte.
Joanna erkannte deutlich die Sekunde, in der es in Carter zu arbeiten begann. Das Feuer in seinen Augen erlosch, verwandelte sich in einen kühlen, unnahbaren Ausdruck. Carter machte sich von Joanna los, stieg aus dem Pool und verschwand ohne ein Wort im Haus. Kurz darauf war er zurück. Er trug einen Bademantel und hielt Joanna ein Handtuch hin, in das sie sich einwickelte.
»Es ist spät geworden«, sagte er.
»Ja, für mich wird es auch Zeit. Morgen fliege ich in aller Herrgottsfrühe nach New York. Brian wird operiert und ich muss für eine Weile einspringen.«
»Na dann, gute Reise. Schätze, wir sehen uns, wenn du zurück bist.«
Da war er wieder, der in sich gekehrte, kurz angebundene, distanzierte Carter. Dass seine frostige Reaktion sie enttäuschte, ließ sie sich nicht anmerken. Bestimmt hatte ihn dieser unerwartete Gefühlssturm ebenso überwältigt. Dass sie den nächsten Monat in New York verbringen würde, wäre vielleicht gut für sie beide.

***

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