Dies ist Teil 37 von 62 im Buch Sheltered Dreams
Lesedauer: 5 Minuten

20 Liebevolle Erinnerungen Teil 2

Carter fand einen Parkplatz an der Straße. Er benutzte in Absprache mit Rosa den Code fürs Tor und schlich sich mit einer Klappbox voller Geschenke durch den Hintereingang in die Küche, weil er Joanna mit seinem Besuch überraschen wollte.
»Was schleppst du denn alles an?«, erkundigte sich Rosa. »Ziehst du wieder ein?«
»Keine Sorge, mich bist du los.« Er zwinkerte ihr zu. »Ich habe etwas zu essen von Joannas Lieblingsrestaurant besorgt. Bringe ich damit deine Planung durcheinander?«
»Überhaupt nicht. Joanna hat keinen Hunger, daher wollte ich ihr nur eine kalte Platte für später zurechtmachen.«
»Prima. An Carlos und dich habe ich natürlich auch gedacht.« Er stellte appetitlich duftende Schalen auf die Küchentheke.
»Dankeschön, das riecht herrlich. Du kümmerst dich um Joanna, ja? Sie ist im Heimkino.«
Carter öffnete vorsichtig die Tür. Seine Augen mussten sich zunächst an die Dunkelheit gewöhnen. Joanna saß im Schneidersitz auf dem breiten Sofa und hielt etwas fest im Arm, vermutlich Mia. Über die Leinwand flimmerte ein selbst gedrehtes Video. Carter brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass es eine Aufnahme von Teresa war. Das kleine Mädchen, das mit ihr über die Wiese tollte, war unverkennbar Joanna. Schon als Kind hatte sie dieses angenehm helle Lachen gehabt. Teresa spielte Fangen und lief vor Joanna weg. Joanna rannte ihr vor Freude kreischend hinterher, versuchte sie einzuholen, dann stolperte sie und landete bäuchlings im Matsch. Sie fing sofort an zu weinen. Teresa kam zurück und begutachtete Joanna. »Hast du dir wehgetan?«
Joannas blonde Locken flogen, als sie schluchzend den Kopf schüttelte. »Aber das schöne Kleid ist schmutzig.«
»Das ist überhaupt nicht schlimm«, sagte Teresa, warf sich ebenfalls in das Matschloch und zog Joanna lachend in die Arme.
»Sie ist genauso wundervoll, wie du sie beschrieben hast«, sagte Carter leise.
Joanna fuhr erschrocken zusammen. Hektisch wischte sie sich Tränenspuren aus dem Gesicht und drückte die Stopptaste der Fernbedienung.
»Ich habe Rosa gesagt, dass ich heute keine Gesellschaft möchte. Sie hätte dich wegschicken sollen.«
»Sei ihr nicht böse, ich habe sie überredet.«
»Ich wäre wirklich gerne allein.«
Carter ging in den Flur und kam kurz darauf mit der Box zurück. Er stellte sie neben Joanna ab.
»Das ist für Teresa, für Mia und für dich. Falls du es dir anders überlegst und jemanden zum Reden brauchst, bin ich für dich da.« Er hatte bereits die Türklinke in der Hand, als er das Rascheln des Blumenpapiers hörte.
»Du hast Lavendel besorgt? Und Flieder?« Joanna war erstaunt. Sie hatte einmal nebenbei erwähnt, dass Teresa den Duft von Lavendel liebte, während sie selbst Flieder besonders gern mochte. Carter hatte ihr offenbar gut zugehört und sich sogar daran erinnert.
»Ja, ich hatte gehofft, dass …« Weiter kam er nicht, da Joanna aufsprang und ihm in der nächsten Sekunde um den Hals fiel.
»Danke.«
Er drückte sie kurz an sich. »Gern geschehen. Da ist übrigens noch mehr.«
Sie blickte zu ihm auf. »Was denn?«
»Sieh nach.«
Joanna fand einen Blumenkranz, der genau auf Mias Puppenkopf passte. »Du bist ziemlich verrückt«, sagte sie, während sie den Kranz auf Mias Kopf drückte.
Ja, er war verrückt, verrückt nach Joanna. Aber heute ging es nur darum, für sie da zu sein und ihren Schmerz etwas erträglicher zu machen.
»Mia gehört zur Familie, damit hat sie auch Blumen verdient«, machte Carter klar.
Joanna lugte erneut in die Kiste und zog ein kleines Kästchen daraus hervor.
»Was ist das?«
»Öffne es.« Carter hatte mit sich gerungen, ob er ihr dieses Geschenk machen sollte, oder ob es zu viel, zu kitschig war. Angespannt wartete er auf Joannas Reaktion.
»Ein Armband?« Sie nahm es heraus und betrachtete interessiert die Anhänger.
»Sämtliche Symbole haben eine Bedeutung. Der Vogel steht für die Seelen Verstorbener, der Schmetterling bedeutet Unsterblichkeit, der Anker gibt dir Halt und Sicherheit. Der Kompass soll dir den richtigen Weg weisen.«
»Carter, das ist wunderschön.« Dass er sich so viele Gedanken über ein Geschenk gemacht hatte, sorgte dafür, dass sich Joannas Herz zusammenzog.
»Es ist nur Silber, nichts Besonderes«, sagte er leicht verlegen.
»Doch, ist es. Das ist das schönste Geschenk, seit ich Mia bekommen habe. Legst du es mir an?« Sie hielt ihm das Handgelenk hin. »Passt wie angegossen«, stellte sie kurz darauf fest.
»Schön, dass es dir gefällt. Ich fahre dann jetzt nach Hause. Im Korb ist etwas zu essen aus der Taqueria, falls du später Hunger bekommst.«
Joanna griff nach seinem Arm und hinderte ihn daran, zu gehen. »Werden davon auch zwei satt?«
»Klar.«
»Hast du insgeheim darauf spekuliert, zum Essen zu bleiben?« In ihrer Frage lag ein amüsierter Unterton.
»Ich habe auf gar nichts spekuliert. Ich dachte nur, du solltest an diesem Tag nicht allein sein. Es ist leichter, wenn man Schmerz teilen kann.« Unter Carters mitfühlendem Blick brach Joanna endgültig zusammen. Die Tränenflut ließ sich nicht mehr stoppen. Sie wollte sich von Carter wegdrehen, aber er hielt sie davon ab. Er rückte nah zu ihr und zog sie in die Arme. Beruhigend strich er über ihren Rücken. »Lass alles raus. Lehn dich an mich. Ich bin da.« Joanna presste das Gesicht an seine Brust. Carter sagte nichts weiter, sondern hielt sie einfach in einer warmen Umarmung fest, strich ihr übers Haar, wiegte sie sanft hin und her, bis ihre Schluchzer verebbten. Sie rückte ein Stück von Carter ab.
»Ich habe dein Hemd nassgeheult«, sagte sie schniefend und strich über den feuchten Fleck.
»Das macht nichts.«
»Aber da sind jetzt Mascara-Flecken drauf. So viel zum Thema wasserfest. Ich sehe bestimmt wie ein Waschbär aus.«
Carter nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und wischte mit den Daumen die letzten Tränenspuren von ihren Wangen. »Du siehst wunderschön aus.« Er beugte sich zu ihr, hauchte erst einen Kuss auf die eine, dann die andere Wange. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er im Begriff war, sie zu küssen. Falscher Zeitpunkt, Carter, falscher Zeitpunkt, schrie ihm sein Gewissen entgegen. Er lehnte sich etwas zurück, um Abstand zwischen sie zu bringen.
»Ich werde Rosa bitten, die Blumen ins Wasser zu stellen, und gehe kurz ins Bad«, sagte Joanna.
Carter sah ihr nach. Ihm entwich ein lauter Atemzug. Fast hätte er sich vergessen und Joanna in einem Moment geküsst, in dem sie verletzlich und schutzlos war. Niemals würde er eine solche Situation ausnutzen, obwohl ihm seine Zurückhaltung alles abverlangte. Mit jedem Tag fiel es ihm schwerer, seine Gefühle für Joanna im Zaum zu halten, aber falls irgendwann etwas zwischen ihnen geschah, dann sollte es kein Trost sein, sondern sie sollte es genauso wollen wie er.
Joanna wusch sich im Bad das Gesicht und blickte ihr verheultes Spiegelbild an. Die Wangen waren rot, ihre Augen geschwollen.
»Da hilft auch das beste Make-up nicht mehr«, murmelte sie, tauchte einen Waschlappen in kaltes Wasser und legte ihn sich auf die Augen. Der Zusammenbruch vor Carter sollte ihr peinlich sein, aber er hatte so unglaublich liebevoll reagiert, dass ihr dieser schwache Moment nichts ausmachte. Als Teresa starb, musste sie ihre Trauer allein bewältigen. Man hatte ihr Beileid bekundet und viele Leute waren zur Beerdigung gekommen, aber niemand war wie Carter für sie da gewesen, um sie in den Arm zu nehmen. Sein stiller Trost war genau das, was sie gebraucht hatte. Carter war einfach großartig. Er konnte zuhören, im richtigen Moment schweigen. Immer war sie die Starke, aber bei ihm konnte sie sich fallen lassen und die Schwache sein. Er erwartete nichts von ihr. Was sie für ihn empfand, war mehr als Freundschaft und mehr als eine Schwärmerei. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Sie hatte sich in Carter verliebt.

***

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Kapitel 20 – Liebevolle Erinnerungen

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