22 Die Benefiz-Gala Teil 3
Der Dachgarten lag verlassen vor ihnen. Das Wasser des Springbrunnens plätscherte leise, die Beleuchtung in den Bäumen war gedimmt und von der Straße drangen kaum Geräusche zu ihnen. Carter führte Joanna zu einem der bequemen Loungesofas.
»Wo hast du Tanzen gelernt?«
»Mein Vater hat mich schon früh in die Tanzstunde des altehrwürdigen Star Dance Studios in Golden Gate Heights geschickt. Dort lernte er meine Mutter kennen und deswegen war er der Meinung, es sei auch für mich immens wichtig, gut tanzen zu können. Damit würde ich zu gegebener Zeit die Frau meines Herzens beeindrucken.«
»Dein Vater hatte völlig recht. Bei Männern, die wissen, wie sie sich auf der Tanzfläche bewegen müssen, kann eine Frau durchaus schwach werden.«
Carter beugte sich zu Joanna vor. »Bist du schwach geworden?«
Seine tiefe, warme Stimme sorgte in Joannas Magen für ein Summen. Obwohl sie keinen Alkohol getrunken hatte, fühlte sie sich berauscht. Sie nahm ihren Mut zusammen und fragte mit einem verführerischen Lächeln: »Bin ich die Frau deines Herzens?«
Carters Herz schrie laut Ja, tanzte in seiner Brust, machte sich durch zusätzliche Schläge bemerkbar, aber er ignorierte es. Er konnte ihr unmöglich ehrlich darauf antworten, denn damit würde er sich endgültig verraten. Dass er rettungslos in Joanna verliebt war, durfte sie nicht erfahren. »Man beantwortet keine Frage mit einer Gegenfrage«, sagte er, um abzulenken und sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden.
»In bestimmten Situationen sind Ausnahmen der Regel erlaubt. Also?«
»Also was?«
»Wie lautet die Antwort auf meine Frage?«
»Welche Frage?«
»Spielen wir das jetzt für den Rest des Abends?«
»Du hast angefangen. Ich folge lediglich deinen Vorgaben.«
Joanna rutschte ein Stück näher zu Carter. »Du willst wissen, ob ich beim Tanzen mit dir schwach geworden bin?«
Er nickte, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.
»Tanzen kann reine Verführung sein. Ein perfektes Vorspiel, voller Erwartungen auf das, was danach kommt. Deine Bewegungen haben meine Fantasie in mehr als einer Hinsicht angeregt. Beantwortet das die Frage?«
Ihm blieb keine Zeit, sich auf die Nebenwirkungen ihrer Worte einzustellen, da ihn die Gefühlslawine in sekundenschnelle überrollte. Sein kompletter Körper kribbelte. Bisher war es zwischen ihnen bei einem Schwelbrand geblieben, aber jetzt stieg in Carter die Erkenntnis auf, dass er den Ausbruch eines Feuers nicht mehr verhindern konnte.
»Himmel, du bringst mich dazu, an Dinge zu denken, an die ich besser nicht denken sollte«, gab Carter mit brüchiger Stimme zu verstehen.
»Verrätst du mir deine Gedanken?« Sie nahm seine Hand, verschränkte die Finger mit seinen, was bei Carter für den nächsten Hitzeschub sorgte.
»Das geht nicht.« Er sollte ihr seine Hand entziehen, dem Feuer keine Nahrung bieten, nur konnte er die Kraft nicht aufbringen.
»Warum?«
»Die sind nicht jugendfrei.« Hatte er das soeben laut ausgesprochen? Die Worte waren ihm mit anschaulichen Bildern durch den Kopf gegangen, aber sie waren nicht dazu gedacht gewesen, den Weg aus seinem Mund zu finden.
Joanna blickte sich bedeutsam um. »Keine Jugend anwesend.«
Die Flammen breiteten sich wie ein Flächenbrand blitzartig in Carter aus. Hilflos ergab er sich der Hitze, die von ihm Besitz ergriff. Sein Blick verweilte einen Moment auf Joannas Lippen. Dann glitt er langsam über den Hals zum Dekolleté, wanderte tiefer, stoppte am Saum des Kleides, der an einer Seite hochgerutscht war und kaum die Hälfte ihres Oberschenkels bedeckte. Atemlos verfolgte Joanna seinen Blick. Der hungrige Ausdruck seiner Augen zeigte deutlich, dass er die Hochspannung zwischen ihnen ebenfalls spürte.
Carter streckte die Hand aus, fuhr mit dem Zeigefinger sachte am Saum des Kleides entlang. Zunächst auf dem Stoff, dann glitt er über die Naht und streichelte Joannas Haut, am Rand des Rockes entlang. Langsam, erotisch, aufreizend. Zu beobachten, wie seine Fingerspitze andächtig über ihre Haut glitt, war der sinnlichste Anblick, den Joanna je erlebt hatte. Ihr Körper reagierte mit einer Gänsehaut.
Stimmen kamen näher und einige Gäste traten auf die Terrasse. Ihr Gelächter drang zu Carter durch, der die Welt um sich herum vergessen hatte. Rasch zog er seine Hand zurück.
»Wir sollten wieder reingehen. Dir ist kalt«, stellte er fest und legte sein Jackett fürsorglich um Joannas Schultern. Ihr war jedoch alles andere als kalt. Heute Abend hatte Carter jede Faser in ihr zum Klingen gebracht. Sie wollte nicht, dass dieser aufregende Moment vorbei war, aber Carter erhob sich bereits. Sobald sie den Ballsaal betraten, reichte Joanna ihm sein Jackett. Ihre Hände berührten sich bei der Übergabe und Carter zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt. Vor allen Leuten mit den Nebenwirkungen seiner Empfindungen zu kämpfen, wollte er nicht länger riskieren, daher trat er die Flucht an. »Ich fahre nach Hause. Holt Carlos dich ab?«
»Ja, natürlich.«
»Okay, dann sehen wir uns Montag?«
»Nein, ich bin erst Ende der Woche wieder im Büro.« Joanna wollte Carter dringend sagen, was er in ihr auslöste, dass sie sich mehr von ihm wünschte. Mehr Nähe, mehr Carter. Aber diese Veranstaltung war nicht der passende Rahmen für ein derartiges Bekenntnis. In dieser Sekunde nahm sie sich vor, bei nächster Gelegenheit mit ihm zu reden und nicht länger darauf zu hoffen, dass er den ersten Schritt tat. Sie brauchte endlich Klarheit.
Da mehrere Leute auf Joanna zusteuerten, verabschiedete sie sich mit wenigen Worten von Carter: »Danke, dass du heute Abend an meiner Seite warst.«
Zu gerne hätte er sie umarmt, aber damit würde er sein Gefühlschaos verschärfen. Daher nickte er ihr nur zu, probierte es mit einem Lächeln, das ihm gründlich misslang. Im Aufzug drückte er die Taste für die Tiefgarage. Kurz bevor die Türen schlossen, zwängte sich Glen Turner in die Kabine. Er baute sich vor Carter auf. »Ich habe keine Ahnung, welches Spielchen du Speichellecker spielst, aber lass die Finger von Joanna. Die Frau ist eine Nummer zu groß für dich.«
Carter schaute stur geradeaus. Auf keinen Fall durfte er sich provozieren und zu einer unüberlegten Antwort hinreißen lassen.
Der Aufzug hielt in der nächsten Etage und einige Leute traten ein, die erst in der Lobby wieder ausstiegen. Kurz war Carter versucht, den Fahrstuhl ebenfalls zu verlassen, überlegte es sich aber anders. Er würde den Mann einfach ignorieren.
»Wenn du dich nicht von Joanna fernhältst, dann werde ich …«
Die Türen öffneten sich mit einem Ping.
»Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Abend, Mr. Turner«, sagte Carter und ging geradewegs zu seinem Fahrzeug. Glen gab jedoch nicht auf, sondern blieb Carter auf den Fersen. Verfolgt zu werden, versetzte ihn sofort in Alarmbereitschaft. In ihm kam die alte Beklommenheit hoch, die er von der Straße kannte. Mit dem Gedanken, dass es hier Überwachungskameras gab und dass Glen einen Ruf zu verlieren hatte, versuchte Carter, sich zu beruhigen. Zu mehr als einer verbalen Attacke würde sich Glen Turner bestimmt nicht hinreißen lassen. Er zeigte ihm weiterhin die kalte Schulter und wollte gerade in seinen Wagen steigen, als sich eine Hand wie eine Schraubzwinge um seinen Arm schloss.
»Ich war noch nicht fertig mit dir«, brüllte Glen. »Mich lässt man nicht einfach stehen.«
Carters Adrenalinspiegel stieg. Bedeutsam blickte er auf die Hand an seinem Oberarm, dann direkt in Glens Augen, die vor Wut zu Schlitzen verengt waren.
»Komm mir nicht in die Quere, kapiert? Sonst mache ich dich fertig«, zischte Glen.
»Kann ich helfen?«, schallte es hinter ihnen. Glen ließ Carter los, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verschwand Richtung Fahrstuhl.
»Perfekter hätte dein Timing nicht sein können«, sagte Carter zu Carlos.
»Was war das denn für ein Choleriker? Ich steige aus dem Wagen und sehe, wie dieser Kerl mit einem wahnsinnigen Gesichtsausdruck hinter dir her ist.«
»Ich glaube, das nennt man Eifersucht.« Carter gab Carlos eine Zusammenfassung des Abends.
»Der Mann ist mir suspekt. Ich gehe besser rauf, um ihn im Auge zu behalten.«
»Gute Idee. Und danke für deine Rückendeckung.«
»Jederzeit wieder.« Carlos schlug Carter zum Abschied auf die Schulter.
Als Carter zu Hause ankam, hatten sich seine Nerven beruhigt. Statt weiter über Glen nachzugrübeln, drifteten seine Gedanken zu Joanna. Dem Jackett haftete noch ihr Duft an. Sobald er den Anzug abgelegt hatte, konnte er nicht widerstehen und vergrub die Nase im Stoff des Sakkos, sog Joannas vertrauten Geruch tief ein, so als ob er ihn konservieren wollte. Er sank aufs Bett, schloss die Augen und war zurück auf der Dachterrasse des Fairmont Hotels. Ein tiefes Stöhnen drang aus seiner Brust, als er in der Erinnerung wieder die Fingerspitze über Joannas Haut tanzen ließ. Rasch erhob er sich vom Bett, hing das Jackett auf einen Bügel und brachte es zum Lüften auf die Terrasse. Er hoffte, dass mit dem Duft über Nacht auch die Erinnerung an diesen sinnlichen Moment vom Wind fortgetragen würde.
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Kapitel 22 – Die Benefiz-Gala