23. Schicksalhafter Abend Teil 1
»Hallo Carter.«
»Du bist die Letzte, die ich heute auf meiner Türschwelle erwartet hätte.«
»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte Julians Ex-Frau mit ihrem typisch breiten Lächeln.
Carter breitete einladend die Arme aus und Lizzy drückte ihn zur Begrüßung fest an sich.
»Störe ich, oder hast du spontan Zeit für mich?«
»Wann hast du mich jemals gestört?«
»Noch genauso charmant wie früher. Es ist wirklich gut, dich zu sehen.« Sie umarmte ihn erneut, bevor er sie ins Wohnzimmer führte.
»Möchtest du ein Bier? Ich habe zufällig deine Lieblingssorte im Haus.«
»Da sage ich nicht Nein.« Lizzy nahm mit einem dankbaren Lächeln das Bier entgegen. Anschließend führte Carter sie auf die Dachterrasse.
»Erzähl, was machst du, wie geht es dir?«, erkundigte er sich.
»Ich bin zurück nach Iowa und habe mittlerweile die Maisfarm meiner Eltern übernommen.«
»Du bist ernsthaft wieder dahin gezogen, wo Männer mit Schnurrbart per Gesetz in der Öffentlichkeit keine Frauen küssen dürfen? Wie lebt es sich im Mittelalter?« Er zwinkerte ihr zu.
»Für mich kein Problem, Tom hat keinen Bart.« Sie zeigte Carter ihren Verlobungsring.
»Oh, Lizzy, du hast wieder jemanden gefunden. Das freut mich für dich.«
»Liebe kommt immer unerwartet. Ich wollte keine neue Beziehung, aber Tom hat nicht lockergelassen und mich davon überzeugt, dass er der Richtige für mich ist.« Lizzy lächelte glücklich. »Er hält die Stellung auf der Farm, während ich mich hier auf der Landwirtschaftsmesse herumtreibe.«
»Wie spannend.« Carter gähnte, dabei funkelten seine Augen schelmisch.
»Brauchst dich gar nicht darüber lustig zu machen, das ist interessanter, als du denkst. Außerdem genieße ich es, mal wieder Großstadtluft zu schnuppern.« Sie wurde ernst. »Es gibt etwas, das mir schwer auf der Seele liegt. Ich weiß gar nicht, wie ich dir das beibringen soll.«
»Am besten direkt und geradeheraus.«
Lizzy atmete einmal tief durch. »Vor ein paar Tagen habe ich zufällig dieses Video mit deiner Rede im Internet gesehen. Zuerst konnte ich nicht glauben, was du gesagt hast. Ich musste mir den Film mehrmals anschauen, um deine Worte zu begreifen. Im Netz habe ich dann nach weiteren Informationen gesucht und die ganze Bandbreite erfahren. Carter, es tut mir unfassbar leid. Ich hatte absolut keine Ahnung, was Julian dir angetan hat.«
»Das ist doch nicht deine Schuld.«
Sie verzog das Gesicht. »Irgendwie schon. Vielleicht wäre das alles nicht passiert, wenn ich mit dir geredet, dich gewarnt hätte. Hat Julian dir jemals erzählt, woran unsere Ehe gescheitert ist?«
»Er meinte, ihr hättet unterschiedliche Erwartungen an die Partnerschaft gehabt und euch auseinandergelebt.«
»So kann man das natürlich auch ausdrücken«, sagte sie mit einem bitteren Unterton. »Julian hat mich damals angefleht, dir nichts zu sagen, weil er es selbst tun wollte.«
»Was hätte er mir denn sagen sollen?«
»Das er spielsüchtig war.«
Carter traf der Schlag. Er ließ die Bierflasche sinken und sah Lizzy entgeistert an. »Sag das noch mal.«
»Julian war unnahbar, gereizt und selten zu Hause. Wir haben ständig gestritten. Ich dachte, er hätte eine Affäre, aber dann fand ich das mit seiner Spielsucht heraus. Er versprach, eine Therapie zu machen. Eines Tages wollte ich ihn überraschen und ihn von der Sitzung abholen. Da erfuhr ich, dass er nur den ersten Termin wahrgenommen hatte und danach nie wieder dort aufgetaucht war. Er hatte mich belogen und saß erneut am Spieltisch. Ich habe ihn inständig gebeten, eine stationäre Therapie zu machen, aber er weigerte sich. Irgendwann war das alles zu viel für mich. Ich wusste nicht, was ich noch tun konnte, um ihm zu helfen, und hatte einen Nervenzusammenbruch. Mir wurde klar, dass ich so nicht weitermachen konnte. Ich brauchte Abstand von allem hier. Deswegen bin ich zu meinen Eltern geflüchtet.«
»Es gibt Momente, da muss man sich zunächst um sich selbst kümmern, damit man nicht den Verstand verliert. Ich verstehe das.«
»Danke, dass du mir nichts nachträgst. Ich hatte echt Herzklopfen, als ich heute vor deiner Tür stand. Dass ich mich nach der Trennung nie wieder bei dir gemeldet habe, bereue ich. Es tut mir von Herzen leid, dass ich so eine miserable Freundin war. Julian lebte für die Firma, deshalb hätte ich niemals gedacht, dass er etwas macht, das euer Geschäft gefährdet. Offenbar habe ich komplett unterschätzt, was die Sucht mit einem Menschen anstellen kann. Ich wäre eher aufgetaucht, wenn ich auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt hätte. Niemals hätte ich einfach zugesehen, wie du vor die Hunde gehst. Dass du auf der Straße leben musstest …« Sie griff nach Carters Hand. »Seit unserer Scheidung habe ich nicht mehr mit Julian gesprochen. Ist er tatsächlich untergetaucht?«
»Ja, wie vom Erdboden verschluckt.«
»Und hat dich damit den Wölfen zum Fraß vorgeworfen«, sagte sie betroffen. »Kann ich irgendetwas für dich tun? Wenn du noch Schulden hast, dann …«
Überwältigt von ihrem selbstlosen Angebot, schluckte Carter mehrmals, um den Kloß im Hals loszuwerden. »Danke, das ist unfassbar großzügig von dir, aber mir geht es gut. Mein Leben ist wieder im Lot.«
»Wie wäre es, wenn ich etwas für uns koche? So wie früher«, schlug Lizzy vor. »Ich würde diesen Abend gerne mit dir verbringen und hören, wie dein neues Leben aussieht.«
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Kapitel 23 – Schicksalhafter Abend