Dies ist Teil 12 von 62 im Buch Sheltered Dreams
Lesedauer: 7 Minuten

7 Der Sturm – Teil 2

Als Carter am nächsten Morgen ausgeruht in der Küche erschien, war Rosa nicht zu sehen, aber zu hören.
»Caramba! Qué putada!«
Carter folgte der Schimpftirade und fand Rosa im Raum neben der Küche, der offenbar als Hauswirtschaftsraum diente. Sie wischte begleitet von Flüchen den Boden. Mit einem platschenden Geräusch landete Carters Schuh in einer Pfütze.
»Oh, was ist denn hier los?«
Rosa fuhr zu ihm herum. »Dieses Mistding von einer Waschmaschine ist übergelaufen. Als ich es bemerkt habe, war schon alles geflutet. Natürlich passiert das ausgerechnet jetzt, wo Carlos nicht da ist. Qué mierda!«
»Meist ist das Problem leicht zu beheben. Ich sehe mir die Maschine gerne an.«
»Das wäre wunderbar. Aber vor der Arbeit musst du frühstücken.« Sie lehnte den Mopp an die Wand und schob Carter vor sich her in die Küche.
»Joanna ist heute früh nach L.A. geflogen. Sie hat eine Nachricht für dich dagelassen.« Rosa reichte ihm einen Zettel:

Ich hoffe, du hast gut geschlafen und fühlst dich wohl bei uns. Ich bin froh, dass du in Rosas Nähe bist. Sie mag keine Stürme und wird sich besser fühlen, wenn sie während des Unwetters nicht allein ist. Solltest du irgendetwas brauchen, wende dich vertrauensvoll an Rosa. Wir sehen uns Freitag, Joanna

Nach einem fabelhaften Frühstück reinigte Carter die Druckkammer der Waschmaschine. Danach lief das Gerät wieder einwandfrei. Das brachte ihm eine dankbare Umarmung von Rosa ein. Anschließend ging er aufs Dach, kontrollierte seine gestrige Arbeit, bevor er unter Rosas Anleitung Gartenmöbel und Pflanzenkübel ins Haus trug, um sie vor dem Unwetter in Sicherheit zu bringen. Als Rosa ihn fragte, ob er verstopfte Abflüsse, tropfende Wasserhähne und schwergängige Türschlösser reparieren könnte, war er für den Rest des Tages beschäftigt. Während er in einem der Gästebäder den stinkenden Abfluss der Dusche in Augenschein nahm, pfiff er fröhlich vor sich hin. Wann hatte er zuletzt ein Lied gepfiffen? Er musste dringend aufpassen. Viel zu schnell gewöhnte er sich an Joanna, Rosa und das kleine Gästehaus am Pool. Das war nicht gut. Allein der Gedanke, bald wieder zurück auf die Straße zu müssen, verursachte ihm augenblicklich Magenschmerzen.
Am späten Nachmittag traf der stärkste Sturm der letzten fünfundzwanzig Jahre auf die Bay Area. San Francisco schloss den Flughafen, der Nahverkehr wurde eingestellt. Irgendwann fiel der Strom aus und das Handynetz war ebenfalls über Stunden nicht erreichbar. Rosa stellte zusammen mit Carter Kerzen in der Küche auf, sie belegten Sandwiches und spielten Backgammon. Carter mochte Rosa gern. Er schätzte es, dass sie ihn nicht über sein Leben ausfragte, obwohl sie bestimmt neugierig auf seine Geschichte war. Carter blieb bei Rosa, bis sich der Sturm legte. Als er mitten in der Nacht zum Gästehaus ging, ließ sich das Ausmaß der Schäden erahnen. Ein Baum lag entwurzelt auf der Wiese, bei einem anderen war die Krone abgebrochen, im Pool schwamm Müll.
Am nächsten Morgen stand Carter zeitig auf, um die Schäden zu beseitigen. Erfreut stellte er zunächst fest, dass sein Provisorium auf dem Dach dem Wetter standgehalten hatte. Anschließend bewaffnete er sich mit einer Kettensäge, zerteilte den entwurzelten Baum. Dann fällte er den Baum mit der abgebrochenen Krone. Das Holz stapelte er ordentlich auf, bevor er Äste und sonstigen Unrat vom Rasen aufsammelte. Danach fischte er den Müll aus dem Pool.
Beim Abendessen erfuhr er von Rosa, dass sich Joannas Flug verspätete und sie nicht wusste, wann sie wieder in der Stadt sein würde. Nachdem Rosa sich in ihre Räume zurückgezogen hatte, beschloss Carter, seinen schmerzenden Muskeln eine weitere heiße Dusche zu gönnen. Er war körperliche Arbeit nicht mehr gewohnt, was sich nach dem heutigen Tag erst recht bemerkbar machte. Mit geschlossenen Augen ließ er das Wasser auf seine Schulterblätter niederprasseln. Entspannt stieg er aus der Dusche, lief nackt nach draußen und sprang mit Anlauf in den Pool. Er tauchte prustend auf, schüttelte sich das Wasser aus den Haaren.
»Beeindruckender Sprung.«
Carter fuhr zusammen, schwamm zum Beckenrand und blinzelte. Joanna saß auf einer der Liegen vor dem Haus.
»Ich habe Licht gesehen und dachte, ich sage dir schnell Hallo. Da du unter der Dusche warst, habe ich gewartet. Kommst du raus und trinkst einen Wein mit mir?«
Er überlegte, wie viel sie von ihm gesehen hatte, bevor er mit einem Kopfsprung ins Wasser getaucht war. Während er versuchte, den peinlichen Moment zu überspielen, antwortete er: »Danke, aber ich trinke nicht.«
»Oh, verstehe.«
»Vermutlich tust du das nicht. Ich bin kein Alkoholiker. Aber seit ich auf der Straße leben muss, hatte ich häufiger den Wunsch, mich volllaufen zu lassen. Daher habe ich beschlossen, dass es besser ist, gar keinen Alkohol anzufassen.«
Carters Haltung, seine Stärke und Willenskraft, imponierte Joanna. Sie würde gerne mehr über ihn erfahren. Ob er bei persönlichen Fragen sofort wieder abblocken würde? Joanna beschloss, es zunächst mit einer lockeren Unterhaltung zu versuchen. »Aber rauskommen könntest du trotzdem und dich einen Moment zu mir setzen. Rosa hat erzählt, wie hart du gearbeitet hast, um hier Ordnung zu schaffen. Danke für deinen Einsatz.«
»Rosa übertreibt.«
»Ich habe Bilder gesehen. Daher weiß ich, dass sie definitiv nicht übertrieben hat.« Joanna legte den Kopf schief. »Willst du nicht wenigstens aus dem Wasser raus?«
»Ich kann nicht.«
»Hast du einen Krampf?«, fragte sie alarmiert.
»Nein.«
»Was dann?«
Carter schmunzelte. Er würde es offenbar aussprechen müssen. »Ich bin nackt, Joanna.«
Diese Tatsache war ihr durchaus aufgefallen. Vor allem hatte sie seinen ansehnlichen Po bemerkt. Joanna zog die Brauen zusammen. Dass sie von seiner Kehrseite überhaupt Notiz genommen hatte, irritierte sie.
»Soll ich dir den Bademantel holen oder mich umdrehen?«, erkundigte sie sich und schob den Gedanken an seine attraktive Rückansicht beiseite.
»Beides wäre gut, in exakt der genannten Reihenfolge«, schlug Carter vor.
Joanna legte kurz darauf den Bademantel auf die Liege neben sich, dann blickte sie demonstrativ in den Garten.
Sie hörte, dass sich Carter aus dem Pool abstieß. Es folgte das Geräusch nasser Fußsohlen auf Bodenplatten. Die Liege quietschte unter Carters Gewicht, sobald er sich hinsetzte. Das nahm Joanna als Zeichen, sich wieder zu ihm umzudrehen.
»Hi«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln, das Carter völlig unerwartet einen Stromschlag versetzte, der kribbelnd durch seinen Körper floss und ihm zusätzlich eine Gänsehaut bescherte. Zum ersten Mal nahm er Joanna als Frau wahr. Sie war hübsch. Bildhübsch sogar. Er mochte ihre grünen Augen. Die honigblonden Haare trug sie schulterlang, mal gelockt, mal glatt. Ihm gefiel, dass sie kein spindeldürrer XS-Typ war. Ihre Kurven befanden sich seiner Meinung nach genau an den richtigen Stellen. Seit sein Leben völlig aus den Fugen geraten war, hatte er sich nicht mehr für Frauen interessiert. Mit einer gewissen Erleichterung stellte er fest, dass zumindest in einem Teil von ihm noch Leben steckte.
»Hi«, antwortete er mit einem Lächeln, das seine Gesichtszüge weicher werden und den harten Zug um den Mund verschwinden ließ.
»Ich mag es, wenn du lächelst. Steht dir gut«, merkte Joanna an.
Das Kribbeln in Carters Bauch verstärkte sich. Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln, daher stand er auf. »Ich ziehe mir was an. Bin gleich zurück.« Carter flüchtete förmlich ins Bad, wo er sich die Jogginghose, die Tate ihm geschenkt hatte, und das Sweatshirt, auf dem trotz mehrfacher Wäsche Reste der Blutflecken zu erkennen waren, überzog. Auf dem Weg zurück zum Pool nahm er eine der kleinen Weißweinflaschen aus dem von Rosa gut bestückten Kühlschrank und schenkte Joanna ein Glas ein. Für sich nahm er eine Flasche Wasser mit. Er reichte ihr den Wein, den sie mit einem dankbaren Lächeln entgegennahm. Anschließend setzte sich Carter wieder auf die Liege. Er schraubte die Wasserflasche auf, dann erzählte er von den Sturmschäden und den Reparaturen, um die Rosa ihn gebeten hatte.
»Allem Anschein nach haben wir deine Fähigkeiten schamlos ausgenutzt«, kommentierte Joanna Carters Ausführungen.
»Bitte nutze mich in jeder erdenklichen Weise aus. Meine Fähigkeiten gehören dir.« Carter wurde erst klar, was er gesagt hatte, als Joanna laut losprustete.
»So ein eindeutiges Angebot habe ich noch nie bekommen«, stellte sie lachend fest.
»Es war eher zweideutig und in der Form unbeabsichtigt.«
»Ich darf mir deine Fähigkeiten also nicht zunutze machen?«
Carter kniff die Augen zusammen. »Könntest du vergessen, dass ich das gesagt habe?«
»Absolut nicht.«
»Niemals?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, denn ich möchte dich mitsamt deinen bemerkenswerten Fähigkeiten für morgen buchen.«
Carter verschluckte sich prompt am Wasser.
Sie zwinkerte ihm zu. »Nicht das, was du denkst. Obwohl …«
Carter winkte ab und bekam einen erneuten Lachanfall. Seit er auf der Straße lebte, hatte er sich nicht mehr so amüsiert. Diese unerwartete Leichtigkeit des Augenblicks kam wie eine sanfte, tröstende Umarmung. Er blitzte Joanna belustigt an. »Auf den Rest des Satzes bin ich gespannt.«
»Das ist einer von diesen Sätzen, die unbeendet bleiben.«
»Du bringst mich bis kurz vor den Höhepunkt, um mich dann hängen zu lassen?«
»Cliffhanger steigern bekanntlich nicht nur die Spannung, sondern machen auch neugierig auf die Fortsetzung. Es muss zwischen uns schließlich interessant bleiben.« Joanna wackelte vielsagend mit den Augenbrauen, was ihn zu einem amüsierten Grinsen veranlasste.
»Danke, Carter. Das habe ich nach dieser miesen Woche gebraucht.« Joanna verzog das Gesicht. »Entschuldige, das war unsensibel.«
»Keine Entschuldigung nötig. Das Recht auf miese Tage habe ich nicht gepachtet.«
»Trotzdem. Jammern auf hohem Niveau ist fehl am Platz. Ich habe vor dem Reden nicht nachgedacht.« Sie drehte das inzwischen leere Weinglas zwischen den Fingern. »Carter?«
»Hm?«
»Vor Kurzem habe ich eine Hütte im Napa Valley mit losen Holzschindeln und undichten Fenstern gekauft. Morgen kommt eine Lieferung Baumaterial und ich möchte nachsehen, was dem Sturm zum Opfer gefallen ist. Würdest du mitkommen? Ich könnte gut zwei zusätzliche Hände gebrauchen.«

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