Dies ist Teil 13 von 62 im Buch Sheltered Dreams
Lesedauer: 4 Minuten

8 Das Blockhaus am See – Teil 1

»Hast du einen Führerschein?«, erkundigte sich Joanna, während sie von Rosa zubereiteten Proviant in ihrem roten Jeep Gladiator verstaute.
Carter bückte sich, zog seine Fahrerlaubnis aus der Socke und wedelte damit in der Luft herum.
»Interessanter Aufbewahrungsort.«
»Ist der sicherste Platz bei einem Überfall, damit ich nicht ständig einen neuen Führerschein beantragen muss«, bemerkte er eher beiläufig.
Joanna nahm seine Aussage mit einem kaum merklichen Stirnrunzeln zur Kenntnis. Wie oft er wohl schon attackiert worden war? Das Leben auf der Straße musste ihm eine Menge abverlangen. Sie hatte so viele Fragen zu seinem Alltag, wollte mehr über ihn erfahren. Aber sie kannten sich kaum und Carter taute gerade erst auf. Er sollte seine Geschichte freiwillig erzählen, falls er irgendwann dazu bereit war. Da sie keine Grenze überschreiten wollte, bremste sie ihr Interesse und warf ihm den Autoschlüssel zu, den er automatisch mit einer Hand auffing.
»Ist das deine Art mir zu sagen, dass ich heute der Chauffeur bin?«
»Falls es dir nichts ausmacht. Ich habe einige Telefonate zu führen und es wäre schön, wenn ich mich dabei nicht auch noch aufs Fahren konzentrieren muss.«
Carter hielt Joanna die Tür auf, wartete, bis sie eingestiegen war, bevor er sich hinter das Lenkrad setzte. Er stellte Spiegel und Sitz ein.
»Stört es dich, wenn ich über Lautsprecher telefoniere?«, fragte sie.
Carter schüttelte den Kopf, dann erkundigte er sich: »Wo gehts hin?«
»Das Navi ist bereit. Lass dich einfach leiten.«
Joanna telefonierte während der Fahrt ununterbrochen, hatte ihren Laptop auf dem Schoß und tippte nebenbei E-Mails. So blieb Carter Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Die letzten Tage waren auf eine gute Art unwirklich gewesen. Gekrönt von einem entspannten, amüsanten Abend mit der faszinierenden Frau, die jetzt neben ihm saß. Heute Morgen war er aufgewacht und sein erster Gedanke hatte Joanna gegolten, was ihn immer noch verwirrte.
Während der Fahrt erhielt er einen Einblick in Joannas bemerkenswerte Führungsqualitäten. Kein Wunder, dass sie so erfolgreich war. Sie traf rasche Entscheidungen und delegierte Aufgaben gezielt. Wurde ihr Gesprächspartner hektisch, behielt sie einen kühlen Kopf, blieb die Ruhe selbst. Joanna sparte nicht mit Lob, übte aber genauso konstruktive Kritik, wenn etwas nicht ihren Vorstellungen entsprach. Ihre freundliche, bestimmte Art imponierte Carter.
Hinter einer Kurve lichtete sich der Kiefernwald. Vor ihnen tauchte ein Blockhaus auf, das an einem malerischen See lag. Carter parkte vor dem einstöckigen Gebäude und starrte es mit großen Augen an.
»Du schaust, als hättest du einen Außerirdischen gesehen«, bemerkte Joanna, die sich über seinen erstaunten Gesichtsausdruck wunderte.
Er zeigte auf das Blockhaus. »Das ist es?«
»Ja, stimmt damit was nicht?«
Carter stieg aus. »Echt jetzt?«
Joanna kam zu ihm, blickte vom Haus zu Carter und zurück. »Ja, echt. Verrätst du mir, was mit dir los ist?«
Statt zu antworten, stemmte er die Hände in die Hüften, legte den Kopf in den Nacken und lachte, bis ihm die Tränen kamen. Sie hatte keine Ahnung, was Carter so lustig fand. Joanna blickte ihn stirnrunzelnd an.
»Ich habe ein piekfeines Chalet erwartet, das kaum kleiner als dein Anwesen in San Francisco ist.«
»Hatte ich nicht das Wort Hütte erwähnt?«
»Ich hielt den Ausdruck für die in deinen Kreisen übliche Untertreibung, wenn es um Wochenendhäuser geht.«
Schon lange ließ sie abwertende Aussagen nicht mehr an sich heran, schützte sich mit einer Art mentalen, kugelsicheren Weste vor verbalen Querschlägern. Dass Carter zu den Menschen gehörte, die eine vorgefasste Meinung von ihr hatten, versetzte Joanna jedoch unerwartet einen schmerzhaften Stich. »In meinen Kreisen? Herzlichen Dank für diese Kategorisierung, obwohl du gar nichts über mich weißt.«
Carter wurde klar, dass er soeben das getan hatte, was er anderen in den letzten Monaten vorgeworfen hatte. Ohne Joanna wirklich zu kennen, hatte er über sie geurteilt. »Du hast recht. Es tut mir leid«, entschuldigte er sich.
»Vergiss es. Lass uns reingehen.«
Bildete er sich das ein, oder war die Stimmung zwischen ihnen kühler geworden? Sein Fehler. Er würde das später wieder ausbügeln. Zunächst folgte er Joanna ins Haus. In einem Raum, der Wohnzimmer, Esszimmer und Küche zugleich war, befand sich in der Mitte ein gemauerter Kamin, der die Bereiche optisch voneinander trennte. Eine Terrasse erstreckte sich bis ans Seeufer.
Joanna führte ihn herum, erklärte ihm ihre Pläne für die Modernisierung und zeigte ihm, was zuerst repariert werden musste. Sie waren mit dem Rundgang fertig, als die Schindeln geliefert wurden. Carter half dabei, das Material abzuladen und an der Hauswand zu stapeln. Im Holzschuppen fand er eine Plane, mit der er die Schindeln abdeckte.

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Kapitel 8 – Das Blockhaus am See

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